Die von mir angefertigte Transkription (Übertragung) von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" ist nach meinem Kenntnisstand die erste und bislang einzige vollständige Orgelfassung dieses berühmten Werkes. Dies ist um so erstaunlicher, da Übertragungen, insbesondere von Violinkonzerten auf die Orgel, eine lange Tradition haben. Kein geringerer als Johann Sebastian Bach (1685-1750) fertigte wahrscheinlich um 1714 in Weimar zahlreiche Orgel- und Cembalobearbeitungen von Vivaldi´schen Concerti an. Bach befand sich in einer Art kreativem Wettstreit mit Johann Gottfried Walther (1690-1758), in dem es darum ging, die neuesten "Concerti in italienischer Manier" auf die Orgel zu übertragen. Man kann davon ausgehen, daß ein Musiker wie Bach, welcher sich stets für die Musik seiner Zeitgenossen interessierte, zeitlebens Instrumentalwerke für die Orgel umgesetzt hat, ohne dabei jede Transkription aufzuschreiben. Eine Orgelbearbeitung der Vier Jahreszeiten war insofern längst überfallig, als sich die Orgel mit ihrem riesigen Tonumfang (größer als ein Sinfonieorchester) und ihren Millionen Möglichkeiten von Klangfarben geradezu ideal dafür eignet. Die von Vivaldi in seinen Gedichten geschilderten Naturszenen, sowie die von ihm in das Werk hinein komponierten Effekte werden auf der Orgel deutlicher als mit einem Streichorchester. Man denke nur an den Vogelgesang und die Dudelsackweisen im "Frühling", an Blitz und Donner im "Sommer", an die Jagdhörner im "Herbst" und die Regentropfen und das klirrende Eis im "Winter". So wurde in der Transkription ein barockes Werk, im Stile von klassisch- romantischen Naturschilderungen, wie man sie von Beethoven und Liszt kennt, für die Orgel neu "instrumentiert". So mögen manchem Vivaldi-Liebhaber diese Vier Jahreszeiten fremd, vielleicht aber auch in ganz neuem Lichte erscheinen. Das große Interesse bei Aufführungen der Bearbeitung hat insbesondere gezeigt, daß es mit einem solchen Experiment möglich ist, außer den Kennern auch ganz neue Zuhörerkreise für die Orgel zu gewinnen. Detlef Steffenhagen
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1. Konzert: "Frühling" | |
Allegro | Der Frühling ist gekommen und freudig begrüßen ihn die Vögel mit heiterem Gesang. Wenn die Zephyrwinde schmeicheln, murmeln süß die Quellen. Wenn der Himmel sich in schwarz hüllt, Blitz und Donner erschrecken, verstummt der Vögel Gesang und lebt in wiedergewonnenen Licht erst auf. |
Largo | Und auf den lieblichen Blumenwiesen, beim zarten Rauschen von Blättern und Pflanzen, schlummert der Hirte, den treuen Hund zur Seite. |
Allegro | Zu ländlichen Dudelsackweisen tanzen Nymphen und Hirten unter dem leuchtenden Frühlingshimmel. |
2. Konzert: "Sommer" | |
Allegro | Unter der lastenden Hitze der Sonne dürsten Mensch und Herde und versengt die Pinie. Erhebt der Kuckuck die Stimme und mit ihm singen Taube und Stieglitz. Der Zephyrwind weht süß, aber auf einmal bläst ihm der Nord ins Gesicht. Es klagt der Schäfer überrascht vom wilden Sturm und seinem Geschick. |
Adagio | Von den Gliedern flieht der Schlaf, aus Furcht vor Blitz und Donner, vor Fliegen und Brummern. |
Presto | Ach seine Furcht ist nur allzu wahr. Donner und Blitz und Hagelschauer vernichten Lavendel und Getreide. |
3. Konzert: "Herbst" | |
Allegro | Glücklich feiert der Bauer Mit Tanz und Gesang die gute Ernte Und vom süßen Wein des Bacchus entflammt, endet der Genuss im Schlummer. |
Adagio | So beschließen Tanz und Gesang das Vergnügen. Und die beginnende friedliche Zeit lädt ein zu süßem Ruhen. |
Allegro | Das Tagesgrauen sieht den Aufbruch der Jäger, mit Hörnern und Flinten eilen sie hinaus, es flieht das Wild, sie verfolgen die Spur. Schon erschreckt und ermattet vom Lärm Der Flinten und Hörner, verwundet Versucht es zu fliehen, muss jedoch sterben. |
4. Konzert: "Winter" | |
Allegro | Zu gefrorenem Schnee erstarrend, bei Kälte und grausamen Wind, hackenschlagend, wärmesuchend, Zähneklappernd |
Largo | Die Nähe des Herdes lockt, Regenschauer vor den Fenstern. |
Allegro | Das Eis verführt, doch die Furcht Einzubrechen, hält zurück. Man stolpert, man fällt, krachendes brechendes Eis mahnt zur Vorsicht Im Ofenrohr balgen sich die Winde. Scirocco, Bora und die anderen: Leiden und Wonnen des Winters. |